Facing Complexity - Entscheidungen und Transformation

Gestern war ich bei der Hamburger Kreativ Gesellschaft, die mich im Rahmen der Vorbereitungen für den Kongress "Mind the Progress" am 14./15.06.2019 im Hamburger Oberhafenquartier für ihren Think Tank eingeladen hatten. Das Thema des Kongresses ist das, was uns auch im Think Tank beschäftigen sollte: Facing Complexity.

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Es wurde ein langes und lebendiges Gespräch, in dem wir bereits sehr viele unterschiedliche Aspekte des Themas aufgreifen konnten und sich, zumindest aus meiner Sicht, zentrale Fragestellungen heraus schälten. Mich interessieren natürlich immer besonders Fragen der Differenzierung, der Begriffsklärung, weil das zunächst mal beim Denken hilft. Also zum Beispiel Fragen wie: Wo, wann, wie, unter welchen Bedingungen erleben wir Komplexität überhaupt als problematisch oder überfordernd? Schließlich gibt es ganz viele hochkomplexe Phänomene (schwarze Löcher - betrifft weder mein Erleben noch meine Alltagserfahrung; Liebe - war schon immer schwierig, menschliche Natur aka kann man nix machen), die wir nicht unter "Facing Complexity" subsummieren würden.

Spannend war, wie sehr unser Gespräch immer wieder die Ebenen der Arbeit, der Wirtschaft, der (digitalen) Lebensführung und der Politik miteinander verband, und vielleicht drückt sich darin schon eine wesentlich neue Qualität aus. Diese Ebenen waren ja auch früher verwoben, aber heute ist diese Verwobenheit sichtbarer geworden, während wir alle aber nicht im gleichen Maße mehr Experten geworden sind für die unterschiedlichen Felder. Dass heute die Maximen und Formen der Warenförmigkeit und des Marketings nicht mehr nur Wirtschaft, sondern eben auch Politik und private Lebensführung durchziehen ist eine Binse. Ich würde behaupten, dass es andersherum genauso ist. Auch Ansprüche der privaten Lebensführung (Wunsch nach Sinn, Vereinbarkeit, Gestaltbarkeit) werden an Politik und Wirtschaft herangetragen, genauso wie Fragen der Lebensführung oder des Wirtschaftens heute hochpolitisch (quasi-moralisch) erscheinen.

Nun gab es es so viele weitere Aspekte, die an dieser Stelle zu weit führen würden (Zeit, Pluralität, Überfluss, Wahrheit, ...), dass ich nur noch auf einen Beitrag verweisen möchte, auf den ich nach unserem Gespräch im New Yorker gestoßen bin. Der Artikel “The Art of Decision Making” dreht sich ganz um das Thema Entscheidungen und Entscheidungsfindung. Das Thema Entscheidungen wird im Zusammenhang mit Komplexität immer ins Feld geführt, und so war es natürlich auch gestern Abend. Ich beschäftige mich auch schon länger damit, finde aber viele neue Erkenntnisse™ insbesondere der Verhaltenspsychologie, die dann jeweils in mitreißende TED Talks gegossen werden, oft platt oder irreführend. Daher war ich besonders froh über den Artikel im New Yorker. Es ist ein längeres Stück (auf Englisch), das sich aber absolut lohnt. Besonders spannend fand ich die Gedanken Agnes Callards ("Aspiration: The Agency of Becoming") in der zweiten Hälfte des Artikels. Sie beschreibt, wie wir, wenn wir uns beispielsweise entscheiden ein Kind zu bekommen oder einen neuen Beruf zu ergreifen, die neuen Werte, die mit der neuen Lebenssituation verbunden sind, innerlich anprobieren wie neue Kleider und uns in einem langsamen Prozess sukzessive in ein neues Selbst verwandeln. Entscheidungs- und Transformationsprozess erscheinen hier viel stärker miteinander verwoben, als dies im allgemeinen Diskurs der Fall ist und so erlebe ich es tatsächlich auch in Coaching-/Beratungsprozessen und in der Organisationsentwicklung.

vanboy